Dass wir in einer Zeit der Unsicherheit und des schnellen Wandels leben, können wir nicht ändern. Deshalb müssen wir uns anpassen. Die entscheidende Eigenschaft, die Führungskräfte und auch Unternehmen selbst in den kommenden Jahren benötigen, ist strategische Antifragilität. Ich meine damit, dass wir uns von der Frage „Wie überlebt man die nächste Krise?“ hin zu „Wie nutzt man die Krise, um stärker zu werden?“ bewegen müssen. Antifragilität ist nicht nur das passive Aushalten von Stürmen, sondern die aktive Fähigkeit, sich aus dem Druck zu befreien und stärker hervorzugehen, als man reingekommen ist. Es ist die Fähigkeit, einen Rückschlag nicht als Bedrohung der Kontrolle, sondern als Opportunität für die Neupositionierung zu sehen.
Das ist schwierig, weil es allem widerspricht, was wir Menschen eigentlich wollen. Unser Gehirn ist evolutionär darauf ausgelegt, Sicherheit und vertraute Muster anzustreben. Doch diese Bequemlichkeit können wir uns nicht mehr leisten. Über Jahrzehnte konnte unsere Wirtschaft gut auf Bewährtem aufbauen. Erfahrung, Stabilität und Marktmacht durch schiere Größe waren Wettbewerbsvorteile. Doch der Wind hat sich gedreht. Heute zählen Schnelligkeit, Agilität und Anpassungsfähigkeit. Was für so manches Unternehmen zum Wettbewerbsvorteil wird, rüttelt heftig an den Grundfesten so mancher etablierter Organisationen auf dem Markt. Veränderung ist kein Übergangszustand mehr, es ist das neue “normal”. Das ist ganz schön anstrengend. Hier benötigen wir das Handwerkszeug, damit wir nicht ausbrennen oder resignieren.
Zum Handwerkszeug der Führungskräfte gehört deshalb ganz selbstverständlich auch die sichere Beherrschung der Technologie. Ohne diese wird in Zukunft nichts mehr gehen. Wer nicht weiß, wie er beispielweise künstliche Intelligenz, Quantencomputer oder Blockchain-Lösungen so einsetzen kann, dass er genau sein Geschäftsmodell, genau sein Team bestmöglich unterstützt, wird abgehängt. Das ist so, als wüssten Sie heute nicht, wie Sie Excel oder Ihr E-Mail-Programm nutzen. Unvorstellbar!
Aber auch die menschliche Komponente wird meiner Meinung nach mehr in den Mittelpunkt rücken. Mitarbeiter, die dieses Tempo mitgehen sollen, benötigen ein Umfeld, das es ihnen ermöglicht, auf genau die Weise zu arbeiten, die ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht, denn es wird einfach kein Raum mehr sein für politische Ränkespielchen oder Meeting-Marathons, für starre Arbeitszeiten oder -orte. Führungskräfte müssen hier Erhebliches leisten, um ihre Mitarbeiter entsprechend zu führen und zu fördern. Zu erwarten, dass Führungskräften diese Fähigkeiten in den Schoß fallen, ist naiv. Entweder wird also eine neue Generation von Führungskräften benötigt, oder bestehende Führungskräfte müssen weiterentwickelt werden. Hier sehe ich bei vielen Unternehmen derzeit noch Spielraum nach oben. Oder, mit anderen Worten: Wer jetzt damit anfängt, seine Führungskräfte entsprechend auszubilden, sichert sich einen echten Wettbewerbsvorteil.
Zudem stelle ich eine zunehmende Tendenz hin zu post-linearen Lebensläufen fest. Was früher als Makel galt, wird nun zum Asset. Mitarbeiter, ohne die klassischen, geraden Karrierepfade, die sehr unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen und dadurch beweisen, dass sie mehrere Talente verknüpfen und geistig hoch-flexibel sind, werden in Zukunft die wahren Leistungsträger sein. Unternehmen tun gut daran, diese seltenen und wertvollen Profile zu identifizieren und zu entwickeln.
Europa wirkt zunehmend wie ein Symbol für alles, was wir an der alten Wirtschaft geschätzt haben: Erfahren, fast schon weise, irgendwie gravitätisch und mit der Macht der schieren, ererbten Wirtschaftsleistung. Aber auch wenig innovativ, überreguliert und behäbig.
Das ist die eine Seite der Medaille. Doch es gibt auch hier moderne Unternehmen und Führungskräfte voller Tatendrang, es gibt fantastische Gründer und Innovatoren, nur werden sie oft durch Bürokratie und überbordende Kosten ausgebremst. Das gilt nicht für alle Länder Europas. Aber im Großen und Ganzen ist Unternehmertum in Europa schwierig und teuer. Das schränkt Innovationen ein und ich erlebe tagtäglich, wie zukunftsträchtige Entwicklungen aus Europa in andere Regionen der Erde abwandern, in denen ihr Wachstum weniger beschnitten wird. Das finde ich persönlich bedauerlich, aber aus unternehmerischer Sicht absolut verständlich.
Um diese Entwicklung zu unterbrechen, wäre eine radikale Deregulierung und Kostenreduktion für Unternehmen in Europa nötig. Dies ist aber nicht abzusehen, zumindest nicht so schnell und umfassend, wie es nötig wäre, um unseren bestehenden Nachteil gegenüber anderen Märkten aufzuholen.
Die Welt bewegt sich aber längst nicht mehr innerhalb der geografischen Grenzen, die vor Jahrhunderten festgelegt wurden. Wirtschaftlich betrachtet existieren diese nicht mehr, auch wenn es aktuell einzelne politische Bestrebungen gibt, die Weltwirtschaft wieder zu entflechten. Unternehmen ab einer gewissen Größe sind selten nur regional oder national aufgestellt. Lieferketten und Vertriebsnetze umspannen längst Kontinente, und sogar Mitarbeiter müssen nicht mehr vor Ort sein. Auch Zölle, politische Sanktionen oder gar Kriege haben es nicht geschafft, dieses Netz zu sprengen und es deutet nichts darauf hin, dass dieses Netzwerk in Zukunft nicht mehr bestehen wird. Im Gegenteil: Je mehr die Digitalisierung voranschreitet, desto vernetzter wird die Welt.
Vor diesem Hintergrund müssen wir doch hinterfragen, ob wir Wirtschaft überhaupt noch in den alten nationalen Grenzen denken können. Ich erinnere an frühere Entwicklungen: Im 19. Jahrhundert war Deutschland in Kleinststaaten unterteilt und jeder davon war ein eigener Wirtschaftsraum. Heute sind wir eine Republik und es ist selbstverständlich, dass Unternehmen in dem Bundesland ansässig sind, in dem die Umstände am besten sind – nicht einmal der größte Patriot würde die Nase darüber rümpfen. In den letzten Jahrzehnten wurde es vollkommen normal für deutsche Unternehmen, europaweit zu agieren. Warum sollte es in Zukunft nicht normal sein, sich weltweit aufzustellen? Die Tendenz ist bereits klar zu beobachten und es ist sozusagen der nächste Evolutionsschritt. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass genau die Aktionen, die das Ziel haben, die Weltwirtschaft zu entflechten (Stichwort: Importzölle und Wirtschaftsprotektionismus) in Wahrheit nur dazu beitragen, die weltweite Vernetzung zu beschleunigen, in dem sie Unternehmen dazu anregen, sich selbst internationaler aufzustellen um Wertschöpfungsketten flexibler zu gestalten.
Die Frage ist also vielleicht nicht so sehr, wie sich die wirtschaftliche Lage in Europa auf die Unternehmen auswirkt, sondern welche Auswirkungen die Entwicklungen innerhalb der Unternehmen auf Europa haben werden. Was wird mit dem Wohlstand in Europa passieren? Welche Auswirkungen wird es gesellschaftlich, sozial und politisch haben, wenn sich europäische Unternehmen internationaler aufstellen? Wie werden wir in Europa in zehn oder zwanzig Jahren leben, wenn sich Wertschöpfung radikal verlagert? Ich sehe hier Chancen und Risiken gleichermaßen für den Standort Europa.
Wichtig ist es meiner Meinung nach, diese Entwicklung frühzeitig zu antizipieren. Es geht darum, sehr zeitnah - am besten schon gestern, wie man so schön sagt - herauszuarbeiten, welche Teile der Wertschöpfungskette eines Unternehmens in Europa am besten angesiedelt sein werden, und welche sinnvollerweise verlagert werden sollten. Das Ziel muss es sein, die eigenen Stärken – sei es in der Technologie, im Talentpool oder in der strategischen Positionierung – dort einzusetzen, wo sie am besten gedeihen können. Kurzum: Es geht darum, nicht nur auf Veränderungen zu reagieren, sondern sie frühzeitig zu erkennen und zu nutzen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Und zwar unabhängig von geografischen Grenzen. Wenn es Unternehmen gelingt, hier die Stärken Europas zu nutzen und die Schwächen auszugleichen, sehe ich eine echte Chance für den Wirtschaftsstandort Europa.