KWVD has access to leaders ​

KWVD has access to leaders

Im Gespräch mit Dr. Michael Karner, Mitglied des Vorstandes der AOK Hessen, über Führung, Wandel und Verantwortung im Gesundheitswesen.

Vom Biologiestudium über die Strategieberatung bis zur Spitze der AOK Hessen: Dr. Karner spricht im exklusiven KWVD-Interview über seinen ungewöhnlichen Karriereweg, die Herausforderungen der gesetzlichen Krankenversicherung und die Balance zwischen Stabilität und Innovation. Er gibt Einblicke in die digitale Transformation der AOK, die strategische Ausrichtung in einem hochregulierten Umfeld und erklärt, warum langfristige Beziehungen zu Versicherten und Leistungserbringern essenziell sind. Ein Gespräch über Komplexität, Leadership und die Zukunft des Gesundheitsmarktes.

Persönlich & Karriere

Herr Dr. Karner, was hat Sie ursprünglich in den Gesundheitssektor geführt? War das schon immer Ihre berufliche Leidenschaft?

Erst nein, dann ja. Ich habe Biologie studiert und hatte zuerst eine Laufbahn in der Wissenschaft ins Auge gefasst. Vor allem aus Neugier bin ich vor 25 Jahren dennoch in die Wirtschaft gewechselt, zur Boston Consulting Group. Dort habe ich unter anderem auch Veränderungs- und Sanierungsprozesse in Krankenkassen unterstützt. Dabei wurde mir klar, dass man aus der Kostenträger-Perspektive das Gesundheitswesen wohl am besten verstehen kann. Der Wechsel zur AOK Hessen – auch aus Leidenschaft für das Thema – war dann ein durchaus logischer Schritt.

Sie sind in einer leitenden Position bei der AOK Hessen tätig. Welche besonderen Herausforderungen bringt diese Rolle mit sich – insbesondere in einem so dynamischen und gesellschaftlich relevanten Bereich wie der gesetzlichen Krankenversicherung?

Es ist wichtig, Veränderungen voranzubringen und gleichzeitig hinreichende Stabilität für die Arbeit der Organisation sicherzustellen. Das ist aber eine ganz generelle Anforderung im Management. Spezifisch für die Tätigkeit in einer gesetzlichen Krankenversicherung ist sicherlich der Umfang, in dem gesetzliche Regelungen auf die Geschäftstätigkeit wirken. Inmitten all der Regularien eine stark unternehmerische Ausrichtung der Krankenkasse beizubehalten ist immer wieder herausfordernd.

Wie gelingt es Ihnen, die Balance zwischen operativer Verantwortung und strategischer Weiterentwicklung der AOK Hessen zu finden?

Ich sehe hier keinen Gegensatz. Relevante strategische Entwicklungen beziehen sich meines Erachtens immer auf sehr operative Inhalte; sie sind früher oder später ergebniswirksam – andernfalls wären sie nicht relevant. Operativ verantwortliche Personen sollten immer auch strategisch denken und handeln.

Gesundheitsmarkt & Trends

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, denen sich gesetzliche Krankenkassen aktuell stellen müssen?

Die schwierige finanzielle Situation der gesamten GKV ist ohne Zweifel die größte Herausforderung. In den vergangenen Jahren hat der Gesetzgeber zahlreiche Maßnahmen umgesetzt, die die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen schnell steigen ließen. Gleichzeitig haben die Corona-Pandemie und die veränderte geopolitische Situation die Konjunktur belastet. Die Ausgaben wachsen weiter schneller als die Einnahmen, so dass die gesamte GKV immer höhere Zusatzbeitragssätze erheben muss. Die schnelle, aber vor allem nachhaltige Reform der GKV-Finanzierung ist deshalb die drängendste Aufgabe der Gesundheitspolitik – auch angesichts des demographischen Wandels, der in den kommenden Jahren zu weiteren Belastungen der Kranken- und Pflege-, aber auch der Rentenversicherung führen wird.

Wie verändert die Digitalisierung die Art und Weise, wie Versicherte mit ihrer Krankenkasse interagieren – und wie begegnen Sie diesen Veränderungen?

Wir erleben vor allem, dass unsere Kundinnen und Kunden wachsende Erwartungen an die Verfügbarkeit unserer Dienstleistungen haben. Wir entwickeln unseren Service zügig weiter, vor allem im Bereich der digitalen Kommunikation. Es ist für unsere Versicherten inzwischen eine Selbstverständlichkeit, dass wir zahlreiche Dienstleistungen auch per App anbieten. Unsere digitale Geschäftsstelle heißt „Meine AOK“, und steht sieben Tage in der Woche rund um die Uhr zur Verfügung. Mit dem „Mein AOK Arbeitgeberservice“ stellen wir für Firmenkunden ebenfalls einen direkten Zugang zur Verfügung, über den verschiedenste administrative Aufgaben schnell und direkt erledigt werden können.

Strategie & Führung

Was unterscheidet die AOK Hessen aus Ihrer Sicht von anderen gesetzlichen Krankenkassen?

Die AOK Hessen und die anderen zehn AOKs haben eines gemeinsam: Sie alle sind marktführend in ihren Regionen. Daher ist die Nähe zu ihren Versicherten, den Arbeitgebern und den Leistungserbringern ein Alleinstellungsmerkmal jeder AOK. Und wir AOKs haben aufgrund unserer Größe gemeinsam, dass wir vor Ort vieles maßgeblich mitgestalten können, so dass wir eine wichtige Rolle im stark regional organisierten Gesundheitswesen spielen.

Wie wichtig sind langfristige Beziehungen zu Versicherten und Leistungserbringern – und wie pflegen Sie diese aktiv?

Unsere Beziehungen zu Leistungserbringern sind gesetzlich normiert – wir sind also ohnehin zu einer engen Zusammenarbeit verpflichtet. Diese Zusammenarbeit wollen wir zum Nutzen unserer Versicherten professionell, verlässlich und mit Weitsicht gestalten. Als Vertragspartnerin wollen wir als fair, aber auch als konsequent wahrgenommen werden. Denn wir haben nicht nur Verantwortung für die Finanzierung und die Qualität der Versorgung unserer Versicherten, sondern natürlich auch für den verantwortungsvollen Umgang mit dem Geld der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Unsere Beziehungen zu Versicherten sind auch auf Langfristigkeit angelegt. Wenn sich Menschen für eine Mitgliedschaft bei der AOK Hessen entscheiden, sind sie häufig in einer Lebensphase, in der sie nur wenig Kontakt zur Krankenkasse haben. Später im Leben ändert sich das; sei es, weil sich Nachwuchs einstellt, oder weil man irgendwann einmal erkrankt, vielleicht sogar chronisch. Dann unterstützen wir als Krankenkasse kompetent und zugewandt – und sind da, wenn man uns braucht. Wie man das in langfristigen Beziehungen nun einmal so macht.

Highlights & Erfolge

Was war für Sie persönlich bisher der größte Erfolg in Ihrer Laufbahn – oder ein besonders herausforderndes Projekt, das Sie begleitet haben?

Die letzten 22 Jahre bei der AOK Hessen, im deutschen Gesundheitswesen, waren ein ununterbrochen herausforderndes Projekt. Ich bin mir sehr sicher, dass das auch so weitergehen wird.

Ausblick & Zukunft

Welche Innovationen oder Trends werden Ihrer Meinung nach das Gesundheitswesen in den kommenden Jahren besonders prägen?

Die Politik wird Antworten auf die drängenden Finanzierungsfragen geben müssen. Es ist heute noch nicht absehbar, zu welchen Lösungen die politische Diskussion am Ende führen wird. In jedem Fall stehen wir vor tiefgreifenden Veränderungen. Natürlich wird auch die fortschreitende Digitalisierung zu Veränderungen im Zusammenwirken von uns, unseren Versicherten und den Leistungserbringern führen. Ich erwarte intensive Diskussionen über das richtige Verhältnis von schutzwürdigen Interessen des Einzelnen und den Potenzialen von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Hier sind wir inmitten eines gesellschaftlichen Findungsprozesses: Einerseits sind die Erwartungen an den Nutzen digitaler Technologien extrem hoch, andererseits gibt es die Sorge, dass eine zunehmende Kommerzialisierung wachsende Risiken mit sich bringt. Aus meiner Perspektive sollten wir hier vor allem auf die Chancen für Forschung, Versorgungsqualität und Ressourcensteuerung schauen.

Tipps & Inspiration

Welchen Rat würden Sie jungen Fachkräften geben, die in das Gesundheitswesen oder in die gesetzliche Krankenversicherung einsteigen möchten?

Haben Sie keine Angst vor Komplexität.

Welche typischen Fehler sollten Führungskräfte im Gesundheitswesen vermeiden – insbesondere in Zeiten des Wandels?

Angst vor Komplexität zu haben.